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AutorenbildKatharina Siebert

"BAUCHGEFÜHL - Komm, noch einen Löffel"

Über das Selbstbestimmungsrecht beim Essen

Beim Geschmack scheiden sich ja bekanntlich die Geister: das eine Kind mag die Nudeln pur, das andere Kind mit Pesto, das nächste nur mit Parmesan, das vierte mit Tomatensauce (aber bitte nur NEBEN die Nudeln), das fünfte Kind isst nur Linguine und sowieso wollen alle am liebsten Schokolade. Oder doch vielleicht Nudeln mit Ketchup? Und es soll auch Kinder geben, die gerne Gemüse und Fisch essen.


Ich schreibe jetzt keinen BLOG-Artikel darüber, dass die Eltern doch bitte jeden delikaten Wunsch der Kinder erfüllen mögen und am Ende 3 unterschiedliche Gerichte pro Tag kochen. Selbstverständlich nicht. Und doch möchte ich die Aufmerksamkeit auf mehr Selbstbestimmung durch die Kinder legen:


Unsere Generation erinnert sich oft noch gut an die Sätze: "Komm, noch einen Löffel für die Oma, noch einen Löffel für die Tante, ..........." Oder an das entsetzte Gesicht der Eltern, wenn sie sich so viel Mühe beim Kochen gegeben haben und man den Rübeneintopf aber leider wirklich total schrecklich fand und am Ende doch aufgegessen hat (um die Eltern nicht zu enttäuschen), oder aufessen musste. Weil auch unsere Eltern, als Eltern der Kriegsgeneration, es nicht anders kannten und stark über unser Essverhalten bestimmt haben.


Wünschenswert wäre es, wenn wir unseren Kindern schon von Kleinauf vermitteln:


Das ist dein Körper. Fühl in deinen Körper hinein!

Schaue, was du brauchst!


Gerade beim Essen lassen sich so viele Momente beobachten, die wir oft ganz ungefiltert übernommen haben: "Jetzt komm schon, probier das doch mal. Bitte. Nur einen Haps." oder "Jetzt iss das bitte noch auf. Nur noch 4 Löffel."


Das Interessante daran ist: Das würden wir nie zu unseren Freunden sagen, die uns zum Abendessen besuchen. Warum tun wir dies bei unseren Kindern?


Wenn wir für unsere Kinder kochen, dann verbinden wir dies oft mit Zuneigung und Anerkennung: "Du isst mein Essen, du achtest und liebst mich." Und als Eltern freuen wir uns und das Kind sieht unsere Freude und kooperiert möglicherweise, auch wenn es vielleicht bereits satt ist. Dein Kind ist jedoch nicht für dein Glück verantwortlich. Viel interessanter wäre die Frage: Was brauchst du, damit du zufrieden und glücklich dein Essen genießen kannst? Warum kannst du es vielleicht nun nicht mehr genießen? Was verbindest du mit Essen?


Wie wäre es, wenn wir uns darauf einlassen, das Kind in seinem Verhalten zu beobachten und anzunehmen? Wir können unser Kind fragen, wenn wir merken, dass sein Interesse am Teller schwindet:

  • Bist du satt?

  • Wie fühlt es sich für dich an, satt zu sein?

  • Was war für dich besonders lecker, was war nicht so gut?

  • Braucht dein Körper eine kleine Pause?

So stärken wir die Wahrnehmung des Kindes auf das eigene Bedürfnis. Es kann seinem Sättigungsgefühl vertrauen lernen. Das Kind ist freier, Dinge auszuprobieren, oder es eben zu lassen, weil ihm die Konsistenz unangenehm erscheint, oder vielleicht die Farbe nicht passt. Selbst die kleinsten Kinder sind schon sehr klar, wann sie satt sind. Sie schieben den Löffel oder das Brot zur Seite, sie hören als Säuglinge auf zu Trinken, wenn sie satt sind. Die Kinder wissen das ganz genau. Wir sollten es ihnen nicht nehmen.


EXKURS: Von ca. 2- 8 Jahren (je nach Explorationsraum des Kindes) verändern sich die Geschmacksnerven der Kinder. 2/3 der Kinder reagieren dann zum Beispiel sehr stark auf bitteres Essen. Auch was sie als bitter empfinden, muss für uns Erwachsene noch lange nicht stark bitter sein. Diese Geschmacksempfindungen dienen dem Schutz der Kinder. Zwischen 2 und 8 Jahren sind sie vollkommen in der Exploration. Giftige Beeren beim Hüttenbauen im Wald könnten da potenziell tödlich für die Kinder sein. Sie reagieren also aus gutem Grund stärker auf Geschmäcker, als wir Erwachsene das vielleicht nachvollziehen können. Danach verwächst sich das meistens wieder und die Kinder beginnen wieder unterschiedliche Geschmäcker auszuprobieren.



Wenn wir nicht ständig meinen, dass wir beim Essen Regie führen müssen, dann steigert sich auch die eigene Neugier auf das Essen und das Zusammensein wird entspannter. Der dänische Familientherapeut Jesper Juul sagte mal:


"Wenn man ein gemütliches Essen haben möchte, sollte man dabei auf Erziehung verzichten."


Versteht mich nicht falsch: Jede Familie entscheidet natürlich selbst, was sie braucht, um ein aus ihrer Sicht gelungenes Essen zu haben. Wenn man aber bedenkt, dass Kinder zwischen 2 und 6 Jahren ca. 2.000 Arm- und Beinbewegungen pro Stunde machen, dann sollte man sich als Eltern überlegen, wieviel Zeit und Frust man während des Essens in Erziehung stecken möchte: "Jeder bleibt sitzen, bis alle aufgegessen haben", oder ob es vielleicht ok ist, wenn sich das Kind ruhig mit einem Buch aufs Sofa verkrümelt, während die Anderen in Ruhe weiter essen.



Eine Sache liegt mir noch am Herzen: Lass dein Kind selbst den Teller befüllen. Das mag etwas länger dauern bis das alles gut klappt, aber wie lange dauert es, wenn du die Sauce AUF die Nudeln, anstatt NEBEN die Nudeln gemacht hast (was der unausgesprochene Plan des Kindes war) und eine Grundsatzdiskussion darüber beginnt, ob das Essen nun noch essbar ist, oder nicht?


Essen ist ein starkes Mittel um Autonomie gegenüber den Eltern auszuüben. Das Anzuerkennen ist total wichtig, um die Kinder in ihrem Selbstgefühl zu stärken.


Und auch wenn es aus unserer Sicht vollkommen unerheblich ist, ob morgens die hellgelbe oder die dunkelgelbe Müsli-Schüssel rausgeholt wird, oder ob die Gurke in Scheiben oder Streifen geschnitten ist: Für unsere Kinder ist das ein Thema. Es betrifft sie unmittelbar. Deshalb macht es Sinn, sie zu integrieren und sie möglichst früh bei der Essenzubereitung usw. einzubeziehen.



Natürlich ist es schade, wenn man sich die Mühe gemacht hat und Essen zubereitet hat. Vielleicht kannst du dein Essen ja trotzdem genießen und nicht von der Zustimmung deines Kindes abhängig machen. Lade dein Kind mit einem Butterbrot wieder an deinen Tisch ein: "Ich sehe, es hat dir heute nicht geschmeckt. Lass uns die Tage schauen, was wir alle mögen. Jetzt biete ich dir ein Brot an."

Und auch wenn der Quinoa-Salat dem Kind in der vergangenen Woche noch geschmeckt hat, so sollten wir nicht davon ausgehen, dass das Kind uns "ärgern" möchte, wenn es eben diesen Salat diese Woche nicht mehr essen möchte. Wir sollten davon ausgehen, dass das Kind seinen Geschmack verändert. Wie wir auch unseren Geschmack und unsere Vorlieben immer mal wieder ändern. Und ich meine nicht, dass man jedem am Tisch eine unterschiedliche Mahlzeit kocht. Aber

ein Brot als Alternative ist doch vollkommen ok.



Wie erlebt ihr Eure gemeinsamen Mahlzeiten? Sind sie freudig, wärmend? Ist es oft aufreibend, anstrengend? Was möchtet ihr gerne anders haben? Was wünscht ihr euch? Sind die Kinder vielleicht schon zu müde zum Essen? Könntet ihr eure Mahlzeiten auf früher verschieben? Welche Fragen bewegen Euch?





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