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  • AutorenbildKatharina Siebert

Unabhängigkeit erhalten wir durch die Akzeptanz der gegenseitigen Abhängigkeit


Ich hatte neulich die Gelegenheit einen Vortrag über blockierende Glaubenssätze zu halten und stieß direkt auf einen, mich massiv blockierenden, Glaubenssatz. Die Geschichte dazu möchte ich gerne mit euch teilen:


Manche Leute beginnen mit Mitte 30 ihre erste Therapie, oder sie machen Yoga, gehen pilgern und suchen sich einen Guru um zu mehr Selbstreflektion zu kommen. Mein Mann und ich haben in der Zeit unser erstes Kind bekommen. Und ich sage Euch: wir wurden massiv auf uns selbst zurückgeworfen und kamen aus der Selbstreflektion gar nicht mehr raus. Nichts wirft einen so hart und direkt auf sich zurück, wie das erste eigene Kind, die eigenen Kinder.


Ich hatte also dieses kleine, pure Wesen in meinen Armen und nachdem es die ersten 3 Monate nahezu pausenlos weinte und nicht recht einverstanden damit schien auf dieser Welt zu sein, wurde es dann ab dem 4. Monat immer besser. Nach 3 Monaten Weinen und absolut erschöpften Eltern sollte nun also unsere „gute“ Elternzeit beginnen. Doch irgendwie gelang mir das nicht. Dieses kleine Kind begann langsam die Welt um sich herum zu erfahren und ich wurde immer gestresster. Das war zunächst nur ein diffuses Gefühl. Ich erledigte den Alltag „schnell“ um am Ende noch etwas „Qualitätszeit“ zu haben, aber es reichte irgendwie nicht. Ich rannte der Zeit hinterher und schien gleichzeitig gegen sie anzukämpfen. Nach dem 5. Monat ging es mir richtig schlecht. Ich bekam schlimmen Ausschlag und war total erschöpft, verzweifelt und traurig.


Ich spürte so einen inneren Druck, dass ich eines Abends vollkommen unvermittelt zuhause in Tränen ausgebrochen bin und zu meinem Mann sagte: „Aber ich kann ihn doch jetzt noch nicht in die Kita geben!“ und ich habe bitterlich geweint. Mein Mann schaute mich damals vollkommen fassungslos an und konnte mir im ersten Moment gar nicht folgen. Das konnte ich selbst nicht, aber es sprudelte dann förmlich aus mir raus und ich fühlte, was sich da in mir über die letzten Monate zusammengebraut hatte: In mir tobte ein ganz starker Glaubenssatz:

"Eine Frau muss unabhängig sein!"


Dieser Satz ist super stark und kraftvoll. Er trägt so viel Gutes in sich. In vielen Momenten in meinem Leben profitiere ich sehr davon. Aber damals hat er mich unfassbar blockiert. Woher kam das?:


Die Eltern meines Mannes waren immer berufstätig und als Kind ostdeutscher Eltern habe ich es nie in Frage gestellt, zeitnah wieder arbeiten zu gehen. Und zeitnah bedeute in meinem Kopf: nach 6 Monaten. Diese 6 Monate waren nun erreicht. Ich war schon mehr als die doppelte Zeit mit meinem Kind zuhause, die meine Eltern mit mir damals hatten. Ich bin mit 3 Monaten in die Krippe gekommen. Das war normal. So waren wir sozialisiert. Und ich hatte diese Stimmen in meinem Kopf, die mir sagten: „Sei unabhängig! Sei wertvoll, indem du Schaffst! Sei eine attraktive Partnerin und kümmere dich "bloß nicht nur" um dein Kind!“.


Gleichzeitig sah ich die ganzen Mütter auf der Straße, die ihre Einjährigen glücklich vor dem Bauch geschnallt vor sich hertrugen und ich konnte gar nicht verstehen, warum es denen nicht so schlecht ging wie mir. "Wie konnten "die" so unbekümmert sein und warum schaffte ich das nicht?" In mir kämpften zwei Seiten so unnachgiebig miteinander, dass ich gar nicht dahin kam, die Zeit mit meinem Kind zu genießen: „Geh arbeiten!“ – „Geh auf keinen Fall arbeiten!“. Das schien mir unauflösbar. Ich hatte das Gefühl, dass ich alles verraten würde, was ich über Jahrzehnte gelernt habe.


Wie kam ich da wieder raus?

Erstmal haben mein Mann und ich uns darauf verständigt, dass wir beide im Hier und Jetzt leben und nur wir für uns entscheiden können, was WIR gerade brauchen. Das klingt banal, aber es war total befreiend. Ihm war egal, wann wer von uns wie wieder arbeitet, denn er hatte einen klaren inneren Kern, dass wir beide so interessiert und schaffend sind, dass sich der Moment von selbst wieder ergibt und daran ließ er keinen Zweifel. Das hat mir total viel Druck genommen und ich blickte zum ersten Mal ohne Zeitblockade auf den bevorstehenden Sommer mit meinem Kind.


Wir führten viele Gespräche dazu, wie wir als "Neueltern" miteinander leben möchten und wie wir Dinge neu bewerten. Denn am Ende ist es "eigentlich doch recht simpel":


Wenn man gemeinsam Kinder bekommt und großzieht, dann wechseln sich Abhängigkeit und Unabhängigkeit ständig miteinander ab. Alle Entscheidungen, die wir für unsere Familie treffen, entstehen in Abhängigkeiten voneinander. Und jede Familie muss für sich abwägen: "Was fühlt sich für uns stimmig an, was geht für uns nicht." Und auch diese Entscheidungen sind oft nicht von Dauer, sondern passen dann für eine gewisse Zeit lang in eben diese Lebensphase. Sich zu entscheiden, dass eine:r von beiden Arbeiten geht setzt voraus, dass der/die Partner:in dies möglich macht und in der Zeit die "Familienarbeit" übernimmt. Diese Sicht auf das Familienleben stärkte mich damals unheimlich, denn ich konnte so stärker in mich reinhören, was ich in dem Moment brauchte. Und das war damals, für mich, Zeit mit meinem Kind. Und tatsächlich hatten wir anschließend die allerbesten Monate zusammen. Es war ein traumhaft langer Sommer. Ich bin schlussendlich zuhause geblieben bis mein Kind 15 Monate alt war, es Sprechen und Laufen konnte. Also mehr als die doppelt vorher geglaubte Zeit (!!!)


Ich hatte damals das Gefühl etwas unfassbar Wertvolles zu machen. Ich konnte mich meinem Kind und später, durch meine Freiberuflichkeit, meinen Kindern widmen. Gleichzeitig kenne ich unfassbar viele Familien, die sich die Erwerbs-und Familienzeit viel stärker aufteilen, als wir das tun und alle sind vollkommen zufrieden mit diesen Entscheidungen. Und dafür bin ich so dankbar: Unabhängigkeit heute beinhaltet auch die Freiheit, sich für etwas entscheiden zu dürfen. In meinem Fall war das die Elternzeit. Unabhängigkeit in einer Paarbeziehung geht dabei immer in beide Richtungen: Ich brauche etwas für mich / von dir. Wie finden wir eine gemeinsame Lösung, die jetzt in diesem Augenblick für unser Paar- und Familiensystem passend ist?"


Ich habe dann irgendwann die Gelegenheit genutzt und meiner Mutter davon erzählt. Fast schuldig offenbarte ich ihr, dass unser Sohn insgesamt mindestens ein Jahr mit mir zuhause sein würde. Ich sagte das damals sehr zaghaft, denn ich hatte das Gefühl, dass ich ein Stück weit verraten würde, was ich sozial gelernt habe. Ich wollte auch meine Eltern mit meiner Entscheidung nicht verletzen und meine Mutter sagte etwas für mich vollkommen Paradoxes: „Glaubst du nicht, wir hätten es nicht anders gemacht, wenn wir es anders gekonnt hätten?“


Warum teile ich diese Geschichte?

Wenn du in Konflikte mit deinem Partner, deiner Partnerin gehst und dich das Gefühl beschleicht: "mein Gegenüber versteht mich nicht", dann schau noch mal nach innen! Geht es, wie in meinem Beispiel, wirklich darum, wann ein Kind kitareif ist, oder geht es um die innersten Blockaden, Überzeugungen und Konflikte, die ich selbst damit habe?


Mein Bedürfnis war Entlastung. Jemand, der mir sagt: „Du darfst das und ich liebe dich trotzdem.“ Aber um dahin zu kommen, musste ich mich mit meinem blockierenden Glaubenssatz befassen und ich musste ihn in Worte fassen um an seinen Kern zu kommen. Erst dann konnte ich wieder aktiv und selbstbestimmt entscheiden, wie ich die Situation mit meinem Kind handhaben wollte.


Fühle nach! Überlege ganz genau: "Worum geht es EIGENTLICH?" Gerade wenn Du Dich unverstanden fühlst, überlege genau, ob Du schon „an des Pudels Kern“ bist. Wenn wir unsere inneren Konflikte und blockierenden Glaubenssätze versprachlichen, dann können wir mit ihnen umgehen, mit ihnen arbeiten und sie auflösen / umkehren, was auch immer in dem Moment passend ist. Gerne unterstützen wir dich dabei und finden gemeinsame gute, passende Lösungen.


(Un)abhängigkeit hat unendlich viele Ausprägung








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